#otd1945.06.03
Ein Kibbuz namens Buchenwald

Am 3. Juni 1945 verließen 16 jüdische Überlebende Buchenwald, um ein Landgut in Egendorf unweit von Weimar zu beziehen. In der prekären Situation im DP-Camp Buchenwald hatten sie wenige Tage zuvor beschlossen, einen Kibbuz Hachschara aufzubauen.

Eine solche landwirtschaftliche Trainingseinrichtung sollte ihnen helfen, aus Buchenwald wegzukommen und sich gleichzeitig auf eine Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Im kollektiven Kibbuztagebuch vermerkten sie über ihre Abfahrt am 3. Juni: „Die Betonstraße führt uns weg von den Kasernen, den Wachttürmen, den SS-Quartieren; auf dieser Straße […] gehen wir direkt unserem neuen Leben entgegen: Wir sind alle entschlossen, dieser Straße zu folgen, und sie muss uns geradewegs an einen eigenen Ort führen […], diese Straße muss uns nach Palästina führen.“  

Möbel, Haushaltsgegenstände und Lebensmittel brachten die Überlebenden aus Buchenwald nach Egendorf mit. Was sie für ein kollektives Leben auf diesem fast brachliegenden Gut nicht vorfanden, besorgten sie mit Hilfe amerikanischer Militärangehöriger. Jüdische Soldaten spendeten Geld zur Beschaffung von Werkzeugen. Transportprobleme lösten die Überlebenden, indem sie sich einen Traktor aus Buchenwald liehen. Eine Woche nach der Ankunft in Egendorf zählte die Gruppe schon mehr als 30 Mitglieder.  

Die zumeist jungen Männer und Frauen betrachteten ihren Kibbuz als eine Zwischenstation. Sie wollten sich und anderen jüdischen Displaced Persons jenseits von unterschiedlichen politischen und religiösen Überzeugungen ein vorübergehendes Heim bieten. Sie hofften, Europa bald für immer verlassen zu können. 

Eine Woche bevor Thüringen gemäß den alliierten Beschlüssen Teil der sowjetischen Besatzungszone wurde, zogen die Kibbuzniks vorerst weiter nach Hessen. Am 24. Juni 1945 richteten sich etwa 50 von ihnen an ihrem neuen Standort auf dem Gehringshof nahe Fulda ein.   

Trotz „vieler Probleme und Differenzen“ wuchs der Kibbuz rasch, betonte Artur Posnanski, einer der Gründer, 1992 im Interview: „Es kamen Leute von allen Seiten: Der hat einen Cousin, der hat einen Verwandten, und der hat davon gehört. Und die Bettelei, dort zu bleiben, war groß.“ In der Mehrzahl kamen die neuen Mitglieder aus dem DP-Camp Bergen-Belsen. Die Kibbuzniks teilten die Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen in der Vorkriegszeit genauso wie die Erfahrungen in den Konzentrationslagern. Sie alle hatten Angehörige in der Shoah verloren. Einige von ihnen hatten schon vor dem Zweiten Weltkrieg einen Kibbuz in „Eretz Israel“ gründen wollen.  

Ende August 1945 verließ eine erste Gruppe des Kibbuz Buchenwald den Gehringshof in Richtung Palästina. Dort bauten sie diesen Kibbuz weiter aus. Den Namen „Buchenwald“ hatten sie ihm in Erinnerung an das jahrelang Erlittene gegeben. Seit 1954 heißt er Kibbuz Netzer Sereni. 

(Ronald Hirte) 

Quellen: 

Interview mit Artur Posnanski, August 1992 (http://collections.ushmm.org/search/catalog/irn502821, letzter Zugriff: 10. Mai 2021). 

Meyer Levin (Hg.), Kibbutz Buchenwald. Selections from the Kibbutz Diary, Tel Aviv 1946.