#otd1945.05.07
Selbstviktimisierung
Am 7. Mai 1945 ordnete der amerikanische Stadtkommandant William McEllroy an, dass die Einwohner/-innen Nordhausens am folgenden Sonntag den Ehrenfriedhof für die Opfer des KZ-Außenlagers Boelcke-Kaserne besuchen sollten. Er wollte ihnen die „von den Deutschen“ verübten Verbrechen vor Augen führen.
Die meisten Deutschen wiesen eine Verantwortung für die Verbrechen in den Konzentrationslagern zurück und sprachen sich selbst eine Opferrolle zu. Sogar der neue Bürgermeister Otto Flagmeyer, ein ehemaliger Häftling des KZ Buchenwald, erklärte bei der Veranstaltung auf dem Ehrenfriedhof seine Zuhörer/-innen zu Opfern des „verruchten Systems“. Mit den Verbrechen an den KZ-Häftlingen hätten die Anwesenden „nichts zu tun“ gehabt.
Einer seiner Vorgänger, der ehemalige NS-Bürgermeister Heinz Sting, erinnerte sich noch 20 Jahre später an diesen Tag. Für ihn stellte es eine „besonders erniedrigende Schikane“ dar, dass die Nordhäuser den getöteten KZ-Häftlingen eine letzte Ehre hatten erweisen müssen.
(Karsten Uhl)
Literatur: Jens-Christian Wagner, Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora, 3. Aufl., Göttingen 2015.