#otd1945.03.19
Eine Blechdose voller Geschichten
Seit dem 19. März 1945 gehörte der Belgier Charles Brusselairs zum „Bergungstrupp“. Täglich verließ er nun mit diesem Arbeitskommando das Lager auf dem Ettersberg, um in Weimar Trümmer zu räumen.
Ein Kamerad fand dort im Schutt eine kleine Blechdose mit Stiften. Die Stifte nahm er heraus, die Dose warf er weg. Obwohl es verboten war, nahm Charles sie an sich. Er nutzte sie für Kleinigkeiten, die er fand oder ihm gegeben wurden: ein paar Knöpfe, Münzen, ein Stück Metallfaden. Er hütete sie wie einen Schatz. Selbst den wochenlangen Todesmarsch nach Theresienstadt überstand die Blechdose. Das Röhrchen mit Vitamintabletten, die er dort nach der Befreiung erhielt, fand ebenfalls einen Platz in ihr.
Auch nach seiner Heimkehr bewahrte Charles Brusselairs die Blechdose auf. Für ihn erzählten die scheinbar belanglosen Stücke alle eine eigene Geschichte: „Wie ich sie bekommen habe“ oder „warum ich sie behielt“ – Geschichten über die Zeit im Konzentrationslager.
(Michael Löffelsender)
Quelle: Bericht Charles Brusselairs, 1990er-Jahre (Gedenkstätte Buchenwald).
Literatur: Charles Brusselairs, Il ne nous reste plus tellement de temps pour faire entendre notre voix, Antwerpen 1981.